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«Bruno Arati, der Schleifer»

Seit vielen Jahren peitscht er die Berner Teams durch den Winter. Bruno Arati ist als gnadenloser Schleiffer bekannt und gefürchtet. Doch wer steckt hinter der Maske des Bösen? Eine Annäherung an den legendären Berner Boxtrainer.

Zwei Stockwerke unter dem Steinhölzli Einkaufsmarkt befindet sich der Ort der Qual und der Verdammnis. Wer vom Lift durch die Autogarage in Richtung Eingang läuft, wird bald schon von fürchterlichem Geschrei aufgeschreckt: „Eis, zwöi, drü, drü, drü, vier, füüf ... Isch das aues?!?“ Der Geruch von getrocknetem Schweiss vermischt sich mit dem Chlor aus der Einstellhalle. Oder ist es Schwefel, wie in der Hölle? Wenn das so ist, dann fällt die Rolle des Teufels dem lauten Schreihals mit dem zornigen Gesichtsausdruck zu. Er trägt zwar keine Hörner, aber einen buschigen Schnurrbart. Seine Haltung ist gebückt, sein Gesicht schlecht rasiert. In der rechten Hand trägt er einen holzigen Stock, mit dem er immer wieder heftig auf den Holzboden schlägt und den Gästen Furcht einflösst. Oder ist es in Wirklichkeit eine Mistgabel, mit der er das Feuer einheizt, wie in der Hölle?

Bruno Arati, der Boxtrainer, hat klare Prinzipien. Er fordert von den Spielern, dass sie an ihre Leistungsgrenzen gehen. „Ich hasse Faulheit und Minimalismus. Das macht mich wütend. Da kann ich schon mal unangenehm werden“, erklärt Bruno seine gelegentlichen Wutausbrüche. Wehe dem, der versucht, sich vor den Qualen zu drücken. „I gseh aues!“, schreit er in den Raum und schlägt noch einmal mit dem Holzstock auf den Boden. „Gielä, i ha gnuä Lüt womer häufe im Garte bim Zwätschgeboum! Vo öich erwarti meh!“ Bruno Arati strahlt eine natürliche Autorität aus. Auch ohne Holzstock.

Die Aktiv-Mannschaften des FC Bern trainieren schon seit vielen Jahren in seinem Boxkeller. Brunos Drill hat Tradition und einen hohen Kultstatus erreicht. Die lange Vorbereitung im Winter erhält dadurch eine besondere Note, denn in diesem Athletik- und Krafttraining wird den Fussballern alles abverlangt. Neben der physischen Intensität spielt auch der soziale Faktor mit: Durch den Gruppeneffekt möchte niemand Schwächen offenbaren. Und dann ist noch Bruno Arati da, der wie ein Raubtier um die Beute tigert und den Spielern bei Rumpfübungen gerne mal die Faust in den Bauch rammt um sich von der Muskelspannung ein angemessenes Bild zu machen.

Bruno Arati, Boxtrainer

1979 boxte Arati in Essen (Deutschland) am gleichen Meeting wie Ikone Muhammad Ali. Arati zeigte sich beeindruckt von Alis Auftreten und konnte sich sogar kurz mit ihm austauschen. Ein prägendes Erlebnis für den Italo-Berner, der bisher fast sein ganzes Leben in den Boxsport gesteckt hat. Im zarten Alter von 12 Jahren stieg er erstmals in den Ring. Nach sechs Schweizermeistertiteln als Amateur wurde er 1978 an der Seite der Trainerlegende Charly Bühler Profi. „Als Boxer war ich ein ‚Höseler’“, sagt Bruno über seinen eigenen Kampfstil. „Als ich es während meiner Profikarriere mit grossen Kalibern zu tun hatte, versuchte ich das Spiel des Gegners zu zerstören. Das war meine Stärke.“

Nach Ablauf seiner Profikarriere, 1982, ging Bruno Arati durch die Schule seines ehemaligen Trainers Charly Bühler. Er arbeitete als Hilfstrainer im berühmten Boxkeller an der Kochergasse 9. Rasch wurde ihm aber klar, dass er seinen eigenen Boxclub gründen musste. Also löste er sich von seinem Mentor und machte sich selbständig. Zuerst im Teilzeitpensum, danach hauptberuflich. Eine erste grosse Herausforderung war, als er 1986 als Trainer des exzentrischen Enrico Scacchia einsprang, der sich zuvor mit Charly Bühler zerstritten hatte. Seine grössten Erfolge als Trainer feiert Bruno gegenwärtig mit seinen Schützlingen Yves Studer und Aniya Seki. Anders als Scacchia damals in den 1980er-Jahren sind Studer und Seki absolute Vorzeigesportler und Botschafter für den Boxsport.

Schon in jungen Jahren hatte Arati ein Flair für Antiquitäten entwickelt. Seine Mutter betrieb einen Brocante. Diese Leidenschaft ist ihm bis heute geblieben. Allerdings bleibt neben seinem Engagement als Boxtrainer kaum Zeit für andere Hobbies. Bruno Arati arbeitet in einem „120%“ Pensum und ist dauernd in seinem Keller anzutreffen. Mit seinem Engagement verbindet er keinerlei kommerzielle Hintergedanken. Was er tut, tut er aus Überzeugung und aus Liebe zum Sport. Er zeigt auf ein Bild von Muhammad Ali und sagt: „Hier, sein Trainer hatte finanziell ausgesorgt, ich hingegen werde nie das grosse Geld machen.“ Die Rede ist von Muhammad Alis jüngst verstorbenem Trainer Angelo Dundee (1921-2012).

Hinter der Maske des harten Boxtrainers verbirgt sich bei Bruno Arati ein aufmerksamer Mensch mit einem grossen Herzen. Wenn er aus seinem Leben erzählt, tut er es mit einer wohltuenden Ruhe. Er ist kein Blender, sondern trotz seiner grossen Erfolge ein verblüffend bescheiden gebliebener Mensch. Bruno Arati ist gleichzeitig ein Einzelgänger und ein Verrückter, ein Idealist, der für seine grosse Leidenschaft sein letztes Hemd hergeben würde. Diesen Enthusiasmus kann er den Spielern vermitteln. Warum sonst würde man sich freiwillig in die Hölle des Arati getrauen? Dazu kommt die immer wiederkehrende Erkenntnis, wenn man nach erfolgreich bestandenem Drill wieder an die frische Luft tritt: Brunos Boxkeller ist nicht nur ein Ort der Qual und der Verdammnis, sondern auch der Selbstreinigung. Wer zuvor schlecht gelaunt war, der fühlt sich nach dem Schliff in Brunos Hölle stark und gross.

Danke Brünu!

Hintergrundinformation:

Bruno Arati ist am 8. Dezember 2018 im Alter von 65 Jahren nach schwerer Krankheit von uns gegangen.

Der Artikel im Frühjahr 2012 im  Fussballmagazin «Dr Bärner» veröffentlicht.