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«Frudes Fuer in Brasilien»

«Das musst du erlebt haben, sonst glaubst du es nicht», sagt Frude Lehmann und zieht eine Mappe mit Erinnerungen und Reiseinformationen hervor. Brasilia, Fortaleza, Salvador, Manaus, Rio: Fünf Inlandflüge, alle pünktlich. Drei Schweizer Vorrundenspiele, alle live im Stadion. Vorhang auf für «Frudes Fuer* in Brasilien».

Ich wache manchmal immer noch mitten in der Nacht auf. Die Verarbeitung meiner Erlebnisse in Brasilien ist noch lange nicht abgeschlossen.

Ich und meine beiden Kollegen Martin und Georges, mit denen ich früher Fussball gespielt habe, haben lange schon davon gesprochen, an eine WM zu reisen. Nun sagten wir uns: Möchtest du in vier Jahren zu Putin? Möchtest du in acht Jahren zu den Scheichen? Nein! Also haben wir unsere Sachen gepackt. An dieser Stelle möchte ich Martin für die vorzügliche Organisation dieser fantastischen WM-Reise danken!

Ich bin während der ganzen WM im Schweizer Trikot herum gelaufen (mit Ausnahme der Brasilien-Spiele). Die Stimmung war sehr friedlich, der Empfang sehr herzlich. Man hat schon gemerkt, dass Brasilien das Mutterland des Fussballs ist. Wie sie überall Fussball gespielt haben, zum Beispiel am Strand, das war gewaltig. Die Technik, die sie dort haben, das ist gestört!

Am Strand konntest du für zwanzig Steine tiptop vom Grill essen. Aber sonst war das mit den Preisen so eine Sache. In Brasilia hatten wir ein kleines Drei-Betten-Zimmer für 500 Stutz pro Nacht. Wir haben nichts anderes mehr gefunden! Für die Einheimischen waren die Bierpreise eine Zumutung, für uns gerade noch erschwinglich. In der Beiz am Strand haben wir für eine grosse Flasche umgerechnet 3 Franken 50 bezahlt.

Public Viewing im Sand der Copacabana
Wir hatten in Brasilien fünf Inlandflüge. Ich habe alle Vorrundenspiele der Schweizer gesehen. Für die Achtelfinalpartie gegen Argentinien in Sao Paulo haben sie dann aber 500 Stutz verlangt. Da habe ich gesagt, «ohne mich, den könnt ihr alleine schauen!» Da haben wir das Spiel in der FIFA-Fanzone an der Copacabana im Sand gesehen. Da gehen eine Million Menschen rein!

Dann kam das Team vom ZDF zu mir und hat mich um ein Interview gebeten. Sie haben mich gefragt, wie ich es so empfunden habe und wie es ist, mit den Deutschen Fans zu feiern. «Auf alle Fälle gut», sagte ich, «hier ist genug von allem für alle.» In Salvador ist das örtliche Fernsehen gekommen und hat uns gefragt, ob wir nicht ein wenig singen können und ob sie es abends ausstrahlen können. Da habe ich gesagt, «klar, bringt das Zeug ruhig.»

Bildunterschrift

Zurück zum Achtelfinal-Spiel der Schweiz: da gab es natürlich Brasilianer UND Argentinier. Alle Brasilianer haben die Schweiz unterstützt. Die haben mehr Lärm gemacht als wir. Die Argentinier sind etwas grossgekotzt rüber kommen. Die haben auch immer dieses Lied gegen Brasilien gesungen. Nach dem Spiel haben sich die Argentinier aber fast schon entschuldigt. Die Deutschen haben gesagt «das war Scheisse, ihr hättet es verdient.» Da spürst du dann die Anerkennung. Wenn ich mit dem Schweizer Leibchen vorbei gelaufen bin, haben dir die Leute zugenickt. Da habe ich mich ein wenig gefühlt! Die Schweiz hat sich da weltweit einen Namen gemacht. Trotzdem, ich glaube es wäre noch nie so einfach gewesen wie an diesem Tag, die Argentinier zu packen.

Übrigens waren die FIFA-Fanzonen am Strand ein Highlight. In Fortaleza haben wir Brasilien gegen Mexiko gesehen. Die Stimmung war fantastisch, das muss man erlebt haben. Zuvor legte im Hafen von Fortaleza ein Kreuzfahrtschiff an und spukte 3’500 Mexikaner aus! Die Mexikaner sind aber sehr friedliche Menschen.

«Der Frankreich-Match hat mir sehr weh getan»

In Salvador haben sie sogar den Baschi-Song gebracht, «Bring ihn hei!» Das glaubst du nicht, den haben sie wirklich gespielt! Als dann Benaglio gegen die Franzosen den Penalty hielt, habe ich gedacht, so, jetzt geht ein Ruck durch die Mannschaft. Aber es ist nichts passiert. Und kannst du einen Stocker wegen einer schlechten Halbzeit nie mehr bringen? Ich denke, dass der Coach da einen Fehler gemacht hat. Das habe ich nicht ganz verstanden.

Nach der 2:5 Niederlage waren wir bei den Franzosen halt erst recht die «Petits Suisses». Die Franzosen sind halt eigene Siechen. Dann haben wir immer gesagt «le coq es mort», Zeug und Sachen. Nach dem erbärmlichen Match trafen wir Silvio, den Spieler der 4. Liga Mannschaft. Der machte in Salvador gerade Ferien. Auf dem Marktplatz gabs dann ein Volksfest und wir trösteten uns mit Samba und Caipirinha über die bittere Niederlage hinweg. Du weißt ja, ich tanze gerne, ich habe den Rhythmus im Blut.

«Unglaublich, wie die Einheimischen mitgelitten haben.»

Am eindrücklichsten war das Spiel zwischen Brasilien und Chile in der Fanzone an der Copacabana (wir trugen da ein Brasilienshirt). Wie die Einheimischen mitfiebern, mitleiden und sterben wollten, das ganze Feeling, das war unglaublich. Im Anschluss ans Penaltyschiessen gab es ein riesiges Fest mit Samba und so. Das musst du erlebt haben, sonst glaubst du es nicht.

An den Tagen, an denen die Brasilianer gespielt haben, sprach man von nichts anderem. Schade, konnten sie diesem Druck nicht standhalten. Die Brasilianer haben insgesamt ja wirklich eine schlechte WM gespielt. Ich habe gesagt, wenn meine Jungs eine solche Halbzeit gespielt hätten wie die Brasilianer gegen Deutschland, hätte ich in der Garderobe die Fenster geschlossen. Die waren ja ständig mit fünf Mann vor dem Ball. Der Aussenback ist nur noch offensiv gerannt, obwohl er defensiv genügend Arbeit gehabt hätte.

Die Stadt mit den tausend Gesichtern

Rio ist eine wahnsinnig pulsierende Stadt, eine Stadt mit tausend Gesichtern. Es ist schon rein geographisch einmalig mit den Hügeln und dem Meer, dem Zuckerhut und Cristo. Die Verkehrsbetriebe sind aber sehr gut ausgebaut und günstig, nicht wie die Taxis, für die du 50 bis 60 Franken bezahlen musst. Infrastrukturmässig haben sie aufgerüstet. Man muss sich vorstellen, Rio hat pro Tag eine Million neue Gäste. Wie sich das alles umwälzt, ist unglaublich. Aber die Stadt ist so gross, dass man sich nie auf den Füssen steht. Rio hat mich am meisten beeindruckt.

Fritz Lehmann, Trainerfuchs beim FC Bern

«Ich habe mich immer sicher gefühlt»

Von den Unruhen haben wir schon was mitgekriegt. In Fortaleza haben sie einmal morgens um 6 Uhr Krawalle gemacht. Da konnte ich nicht mehr schlafen. Es ist aber auch verständlich wenn man sieht, was da für Millionen verbaut wurden und wie die Korruption präsent ist.

Aber während meiner Reise habe ich mich immer sicher gefühlt, die Policia Militar stellte ein sehr grosses Aufgebot und war überall präsent. Nur einmal spazierten wir um die Favelas herum, weil sich da komische Typen herum getrieben haben. Die WM war sicher auch für die Brasilianer toll, aber jetzt, wo alles vorbei ist, wird das Elend wieder zurückkehren. Ich muss sagen, dass du in Brasilien die Armut schon spürst.

Fortaleza, das Mallorca von Brasilien

Am meisten Zeit haben wir in Forteleza verbracht. Dadurch, dass immer andere Mannschaften dort gespielt haben, haben sich die Leute immer durcheinander gemischt. Das fand ich super. So haben wir verschiedene Nationalitäten kennengelernt und konnten miteinander feiern.

Forteleza ist langsam das Mallorca von Brasilien. Das Klima dort oben ist ideal, darum wollen sie es als Feriendestination aufbauen. Das Hotel war direkt am Meer, wir wohnten im 18. Stock und konnten über die ganze Stadt und das Meer blicken. Wir hatten über 30 Grad und konnten im Meer baden, das war super. Im 22. Stock war der Swimming Pool mit Bar und so. Da habe ich mich am Morgen jeweils ein wenig entspannt. Du kannst ja nicht immer nur Party machen.

Unter den Palmen am Strand haben wir die anderen Spiele gesehen. Zwischendurch hast du dich im Meer abgekühlt und anschliessend etwas gegessen. Und um Vier hast du den nächsten Match gesehen. Das war so geil. Ich muss auch sagen, dass die Vorrundenspiele an dieser WM richtig gut waren!

Der Walliser in Salvador

In Salvador kam plötzlich ein Walliser auf mich zu. Wir haben ein wenig geredet, da hat er mich gefragt, wo ich wohne. «In Niederwangen», sagte ich. Da sagte er, «Aha, ich habe eine Frau aus Niederscherli.» Das stellte sich heraus, dass ich früher beim Troesch mit ihr zusammen gearbeitet habe. Und so haben wir uns nach zwanzig Jahren wieder getroffen! Ihr Mann, der Walliser, war ein Reporter für Radio Rottu und so kam es, dass ich auch ihm ein Interview gab und das Frankreich-Spiel analysiert habe.

Sind Sie Fritz Lehmann?

Dann ist mir noch etwas Unglaubliches passiert. Während dem rauschenden Fest auf dem Markplatz von Salvador wurde mir durch eine Unaufmerksamkeit mein Rucksack samt Pass gestohlen. Eine freundliche Brasilianerin begleitete mich auf den Polizeiposten und berichtete dem Diensthabenden mein Ungeschick. Als er mich sah, ging er nach hinten und holte mir meinen Pass zurück. Später, als ich wieder am Fest war, kam die Polizei zu mir und sagte: «Fritz Lehmann, ihr Pass ist auf dem Posten.» Die haben mich gekannt in den tausenden von Menschen! Da sagte ich «sorry, hab ihn bereits wieder.»

Ich muss schon sagen, die WM war sehr gut organisiert, da muss man den Brasilianern ein Kränzlein winden. Ich dachte zuvor, das würde ein wenig chaotisch werden. Du glaubst es nicht: Wir hatten neun Flüge und jeder war pünktlich! Und der Clou: Als wir in Genf auf den Zug wollten, war die Lokomotive kaputt. Und als der andere Zug einfahren wollte, hat dieser noch die Strecke blockiert!

Einfach als Fussgänger musst du aufpassen dort drüben in Brasilien, da bist du Freiwild und musst einfach rennen. Die Taxifahrer kennen nichts. Als wir in Fortaleza zum Flughafen fuhren, sagte uns der Taxifahrer, er sei der kleine Senna. Da habe ich mich sofort angeschnallt.

Im Urwald von Manaus

In Manaus wurden wir am Flughafen von einem Bekannten abgeholt und zu seiner Hütte, mitten im Urwald, gefahren. Die für uns primitive Hütte war eingezäunt und wurde von einem riesigen Hund bewacht. Das obere Stockwerk war über eine Wendeltreppe erreichbar. Links und rechts waren da Hängematten mit Moskitonetzen, in denen wir schlafen mussten. In der Mitte war alles offen, es gab kein Geländer! An diesem Abend habe ich nichts getrunken, ich wollte doch nicht das Loch hinunter stürzen! Übrigens mündet in Manaus der Rio Grande in den Amazonas. Der Rio Grande ist dort 6 km breit, diese Dimensionen kannst du dir fast nicht vorstellen.

Unglaublich sind die Früchte, die sie dort haben. Die Ananas zum Beispiel. Da musst du nichts herausschneiden in der Mitte, die kannst du einfach essen. Dann hat sie uns einen Kokosfladen gebacken, mit Früchten und frischem Saft zum Frühstück. Mehr brauchten wir gar nicht!

Hintergrundinformation:

Frude Lehmann, geboren am 30. März 1955, ist Trainerfuchs im stadtberner Verein FC Bern. Noch immer springt er leichtfüssig wie ein junges Rehkitzen über das Spielfeld, wenn er seine Da-Junioren trainiert. Frude Lehmann arbeitet minutiös, bringt den Kindern die Fussballgrundlagen näher und ist ebenso bekannt dafür, auf Disziplin und Ordnung Wert zu legen.

Der Artikel wurde in zwei Teilen, zwischen September und Dezember 2014, im Fussballmagazin «Dr Bärner» veröffentlicht.

*Der Ausdruck «Fuer» ist berndeutsch und findet seinen Ursprung im deutschsprachigen Begriff «Fuhre». Auf Berndeutsch wird der Begriff sinngemäss auch für «Feier» oder «Fest» verwendet.